Erika aka Ulligunde ist ein Multi-Talent: Sie ist nicht nur vielseitig in den Bergen unterwegs (vom Bergsteigen, Klettern und Trekking über Skitouren bis hin zum Gleitschirmfliegen) sondern auch noch begabte Fotografin, Videografin, Schreibtalent, Bloggerin… Wer sich ihren Blog und ihre Bilder anschaut, kommt zunächst nicht auf die Idee, dass Erika vor irgendetwas Angst haben könnte. Aber obwohl sie schon als Kind in den Bergen unterwegs war, leidet Erika unter Höhenangst. Nicht gerade die beste Voraussetzung für das Klettern in steilen Felswänden, aber Erika stellt sich dieser Angst, erarbeitet sich Strategien und ist mittlerweile (meistens) angstfrei unterwegs. Interessanterweise ist ihre neueste Bergsportart, das Gleitschirmfliegen, für sie angstfreies Terrain!
Erika begeistert uns immer wieder aufs neue mit ihrem Mut, ihren professionellen Fotos, ihren lebendigen Berichten, ihren kreativen Wortschöpfungen und Abenteuern. Bereits seit 2010 gibt es ihren Blog Ulligunde, und sie inspiriert gerade durch ihre eigene Angst viele Outdoorfrauen, sich mehr zuzutrauen! Wer eine Dosis Mut braucht, einen Schubs in Richtung Abenteuer, sollte sich unbedingt dieses Interview mit Erika alias Ulligunde bis zum Ende durchlesen!
Inhaltsverzeichnis
Du bist ja sehr vielseitig am Berg unterwegs, was ist deine größte Leidenschaft?
Momentan ist es tatsächlich das Gleitschirmfliegen, weil für mich dort – im Gegensatz zum Klettern – das Thema „Angst“ nicht so präsent ist. Ich genieße es in vollen Zügen, mit purer Freude einen Sport ausüben zu können, denn egal ob beim Klettern oder z.B. bei ausgesetzten Passagen auf Hoch-, Ski- oder Bergtouren fürchte ich mich einfach sehr schnell. Das klingt komisch, schließlich mache ich ja so viel und habe speziell beim Klettern auch schon viel daran gearbeitet. Es ist auch schon viel besser geworden, aber ich merke langsam, dass ich mich wohl nie frei und unbeschwert in den Bergen bewegen werde können – da macht das Fliegen bis jetzt einfach unheimlich viel Freude. Noch dazu ist es ja auch immer schön, etwas ganz Neues zu lernen.
Wie bist du zum Bergsport gekommen?
Meine Eltern sind bergbegeistert, die massive Höhenangst habe ich aber dummerweise auch von meinem Vater mit auf den Weg bekommen. Wir waren viel draußen, aber vor allem beim „normalen“ Wandern und sehr oft mit Zelt. Im Studium habe ich dann langsam angefangen, selbstständig in die Berge zu gehen und habe mich ganz behutsam an die „schwarzen“ Touren im Rother Wanderführer gewagt. Mein größter Erfolg damals war der Stuiben im Frühling, es lag noch etwas Schnee und die Passage am Gipfel hat mir ungeheuer Angst eingejagt hat. Ich erinnere mich noch gut daran, obwohl ich – wenn ich heute dort stehe – nicht mal mehr sagen kann, wo genau ich mich da fürchten konnte. Damals habe ich schwer davon geträumt, selbst irgendwann mit Steigeisen oder in alpinem Fels unterwegs zu sein. Nur geträumt, denn ich war mir sicher, dass ich das mit meiner Höhenangst niemals schaffen werde. Die Realität sah dann doch anders aus. Ziemlich cool 🙂
Du gibst (nicht nur) auf deiner Webseite viele Tipps zur Angstbewältigung zum Beispiel beim Klettern. Haben Frauen andere Ängste als Männer und auf welche Strategien können sie zurückgreifen?
Es gibt auch Männer, die Angst beim Klettern haben, dennoch habe ich das Gefühl, dass Männer oft selbstbewusster (oder naiver?) an solche Sachen rangehen. „Wird schon!“ oder „Das haben doch andere auch schon geschafft!“ hört man da manchmal. Frauen sind vorsichtiger, haben glaube ich oft auch ein präsenteres Kopfkino („was würde passieren, wenn mir jetzt…“). Noch dazu tendieren Frauen eher dazu, dieses Thema zu benennen und auszusprechen. Umso inspirierender ist es, wenn andere Fraue starke Leistung erbringen – das motiviert viele Frauen deutlich mehr, weil es sich viel nahbarer anfühlt. Strategien zur Angstbewältigung gerade beim Klettern gibt es unzählige. Ich habe dazu eine ganze Artikelreihe verfasst, dort kommen nicht nur Mentaltrainer und Psychologen zu Wort, sondern auch starke Athletinnen wie Ines Papert und Babsi Zangerl.
Wie hast du es geschafft, deine eigenen Ängste zu überwinden und neues auszuprobieren?
Die Angst zu überwinden klappt nur, wenn man es versucht. Das klingt banal, hat sich für mich aber als wichtige Erkenntnis herausgestellt: Steht man vor einer Herausforderung, ist das Kopfkino, was da wohl alles passieren könnte, zumindest bei mir unheimlich präsent. Der Körper will grundsätzlich Stress vermeiden, deshalb tischt er uns so viele Ausreden auf. „Das sieht nass aus“, „die Haken sind ja irre weit auseinander!“. Ich versuche, diese Ausreden rauszufiltern, überlege mir, ob ich Lust auf die Herausforderung habe und versuche dann einfach mal den ersten Schritt. Es ist ja meistens so, dass man notfalls wieder umdrehen kann. Erstmal losklettern! Meistens läuft es viel besser als befürchtet und hat man diese Erfahrung oft genug gemacht, wird man insgesamt auch mutiger. Diese Taktik bewährt sich übrigens auch wunderbar im echten Leben.
Hast du je besondere Schwierigkeiten erlebt, weil du eine Frau bist?
Du meinst abgesehen von den tausend Situationen, in denen mir drei Zentimeter bis zum nächsten Griff gefehlt haben? 😉 Nein, im Gegenteil. Als Frau findet sich meist sehr leicht jemand, der einem notfalls die Exen wieder rausholt oder der einem den Gleitschirm wieder auslegt, wenn der Wind ihn am Startplatz verwirbelt hat.
Beim Bergsteigen ist vielleicht der größte Unterschied als Frau die Erwartungshaltung der Männer: Wenn drei Mädels ohne männliche Begleitung in eine Hütte im Hochgebirge reinlaufen, wenn man als Mädel in einer gemischten Seilschaft z.B. im Eis die Schlüssellänge vorsteigt oder im Fels als reine Mädelsseilschaft unterwegs ist, dann feiere ich jedes Mal die Reaktion vieler Männer. Einen amüsanten Moment überrascht und meistens dann respektvoll. Mühsam wird es nur, wenn man nicht ernst genommen wird, zum Beispiel wenn einem der Lawinenlagebericht erklärt wird oder der Routenverlauf, als wäre man weniger fähig.
„Mansplaining„ nennt sich das, wenn Männer Dinge ungefragt erklären, weil sie davon ausgehen, dass man ja als Frau keinen Plan hat. Das kommt aber immer seltener vor.
Wie ist die Frauenquote denn beim Klettern und auch Gleitschirmfliegen?
Es gibt tendenziell mehr Männer als Frauen in dem Sport. Zumindest bisher. Wenn man sich zum Beispiel die Gewinner einschlägiger Gleitschirmwettbewerbe anschaut, sind da vorwiegend Männer auf den ersten Dutzend Plätzen. Und auch beim Alpin- oder Eisklettern trifft man vorwiegend Männerseilschaften, das ist nun mal so. Auch auf Skihütten sind selten reine Mädelsseilschaften unterwegs.
Warum sind nicht mehr Frauen dabei?
Vielleicht liegt es daran, dass Frauen insgesamt ein bisschen vorsichtiger leben und oft nicht alles riskieren wollen. Sie fliegen nicht direkt unter die Gewitterwolke, weil sie vielleicht eher abwägen, wie wichtig nun dieser Sieg ist. Vielleicht leiden sie auch nicht so gerne und ziehen oft genauso viel Glück aus einer etwas gemäßigteren Tour, aus einem guten Kaffee mit einer Freundin oder einem selbst genähten Kleid. Vielleicht sind wir tendenziell nicht ganz so verbissen, können gelassener verzichten? Müssen weniger beweisen? Ich weiß es nicht.
Hast du (weibliche) Vorbilder, die dich inspirieren?
Grundsätzlich inspiriert mich jede Frau, die selbstständig am Fels oder im Eis unterwegs ist. Ich bewundere sie, obwohl es womöglich vielen bei mir auch so geht. Ich selbst stelle mich sicher oft unter den Scheffel, weil ich halt nicht so unbeschwert in ausgesetztem Gelände unterwegs bin, wie ich es gerne wäre. Müsste ich Namen nennen, sind inspirierende Frauen z.B. Babsi Zangerl, die mit einer angenehmen Bodenständigkeit und immer mit viel Freude innerhalb kürzester Zeit richtig wilde Touren aus verschiedensten Disziplinen (Trad, Big Wall, sehr schwere Mehrseillängen) geschafft hat. Oder meine Freundin Raphaela, die genauso wie ich zwar keine Zehner klettert, aber dafür so herrlich unbeschwert in den Bergen unterwegs ist. Ausgesetztheit ist für sie kein Thema und doch wägt sie sehr lange ab, ob sie einer Tour gewachsen ist oder nicht. Den Peuterey Integral – eine der wohl längsten Alpintouren der Alpen – hat sie trotzdem mit ihren paarundzwanzig Jahren schon geklettert. In einer Mädelsseilschaft. Sowas inspiriert mich, das fühlt sich für mich richtig nahbar an.
Was würdest du anderen Frauen raten, die sich nicht so richtig an den Bergsport wagen?
Zunächst mal langsam anfangen und die Schwierigkeiten behutsam steigern. Hilfreich sind dabei natürlich vertrauenswürdige, gewissenhafte Bergpartner, mit denen man auch guten Gewissens mal umdrehen kann, wenn es einem wirklich zu wild wird. Ich persönlich bin enorm gerne mit etwa gleich starken Frauen unterwegs – die Atmosphäre ist eine ganz andere. Und ansonsten: Sich gut ausbilden lassen, viel unternehmen und sich statt von seinem Kopfkino ausbremsen zu lassen, es einfach erstmal probieren. Nur so findet man heraus, dass man es kann. Last but not least: Dazwischen auch mal einen Tag entspannen und sich an dem freuen, was man schon erreicht hat.
Vielen herzlichen Dank für das Interview und die Bilder!
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