Ana Zirner ist nicht nur begeisterte Outdoorfrau, sondern auch Autorin, Kulturmanagerin und Regisseurin. 2017 ist sie in 60 Tagen über die Alpen gewandert, 2018 in 40 Tagen über die Pyrenäen und dieses Jahr ist sie in 90 Tagen mit ihrem Packraft dem Colorado River von der Quelle in den Rocky Mountains bis zur Mündung ins Meer in Mexiko gefolgt. Auf ihrem Blog Anas Ways, in Büchern (Alpensolo), Zeitschriften und Reportagen berichtet sie von ihren Abenteuern.
Wir haben Ana telefonisch interviewt und sie zu ihrem Abenteurerinnenleben befragt.
Wie bist du zur Outdoorfrau geworden?
Ich bin als Outdoorfrau aufgewachsen, obwohl ich das damals natürlich nicht so genannt hätte. Aber ich habe schon als kleines Kind viel draußen gespielt und bin im letzten Dorf des Tals unterhalb der Kampenwand aufgewachsen. Im Winter war ich Skifahren und Snowboarden, wie andere Kinder Fußball spielen. Später war für mich ein Leben in der Stadt das non plus Ultra, und ich habe in Berlin, New York und Madrid gelebt. Aber die Berge waren trotzdem immer als Ausgleich wichtig. Inzwischen kann ich mir aber nicht mehr vorstellen woanders zu wohnen als in ihrer unmittelbaren Nähe.
Du bist gerne alleine unterwegs, warum?
Zunächst kam es dazu, weil in meinem Freundeskreis kaum jemand war, der gerne in die Berge geht. Ich habe dann aber auch festgestellt, wie schön es ist, alleine unterwegs zu sein. Durch die Stille komme ich in einen unmittelbaren Kontakt mit der Umwelt und auch mit mir selber. Inzwischen habe ich auch entdeckt, dass ich in vielen Situationen alleine sicherer unterwegs bin als in der Gruppe, weil es keine Ablenkung oder Gruppenentscheidungen gibt. Da ich ein Workaholic bin, ist das alleine Gehen, das eigene Tempo finden, für mich sehr wohltuend. Trotzdem bin ich keine typische Einzelgängerin, sondern ein sehr sozialer und auch extrovertierter Mensch. Ich lerne auf meinen Touren immer viele Menschen kennen und freue mich über die Begegnungen. Und mit der Zeit habe ich auch großartige Leute kennengelernt, mit denen ich sehr gerne gemeinsam am Berg unterwegs bin. Gerade bei technischeren Touren, die ich nicht allein gehen kann und will, ist das natürlich wichtig. Ich freue mich außerdem sehr darauf Gruppen in den Bergen zu führen, wenn ich mit der Ausbildung zur Bergwanderführerin fertig bin.
In den vergangenen Monaten warst du in den USA auf dem Colorado River unterwegs, von der Quelle bis zum Meer. Deine Erlebnisse hast du sehr eindrücklich auf deinem Blog geteilt. Was war dein schönstes Erlebnis?
In meinem Packraft im Grand Canyon große Rapids zu fahren hat mich tief im Bauch gekitzelt. Das Gefühl kenne ich vom Berg, es ist nicht nur das Adrenalin, sondern auch eine ganz tiefe Verbindung mit dem Element. Ich kannte es vorher vom Snowboarden im Tiefschnee oder vom Klettern im Fels. Im Wasser habe ich es jetzt zum ersten Mal erlebt. Es war neu, anders, spannend und hat mich sehr glücklich gemacht.
Wenn man so eine Stromschnelle paddelt, dann nimmt man nichts Anderes mehr wahr, konzentriert sich allein auf den Moment und alles in diesem Moment Relevante. Woher kommt das Wasser, was sind für Gefahren in der unmittelbaren Umgebung. Man reagiert schnell und trotzdem ruhig und ist hochkonzentriert. Für mich als blutige Anfängerin war das technisch eine große Herausforderung. Ich habe ständig Neues gelernt und das finde ich großartig.
Zum Ende deines Abenteuers warst du an zwei Dämmen und hattest dort zwei einschneidende Erlebnisse. Am Imperial Dam werden 90% des Wassers des Colorado River für die Landwirtschaft in den USA abgezweigt, und in Mexiko fließt der Fluss dann kaum noch. Am Morelos Dam, ein paar Meilen später, trennen Stacheldrahtzäune und Verzweiflung die USA und Mexiko. Wie hast du diese Erlebnisse inzwischen verarbeitet?
Ich habe sie eigentlich noch nicht verarbeitet, das ist ein langer Prozess. Ich werde das Gefühl nie vergessen, das es in mir ausgelöst hat meinen geliebten Colorado River so menschengemacht sterben zu sehen. Es war heftig zu sehen, dass im weiteren Verlauf, da wo früher Fluss und Wasser war, nur noch Staub und Müll zu finden sind. In Mexiko ist das Flussbett inzwischen an vielen Orten eine Müllhalde. Ich kam aus etwas so Magischem wie dem Grand Canyon, und war dann plötzlich auf einer Müllhalde unterwegs ist, das hat meinem Projekt ein unnatürliches Ende gesetzt. Ich musste mich vom Fluss verabschieden, viel zu früh. Das sitzt immer noch tief und schmerzt mich. Es war allerdings ein sehr realistisches und zeitgemäßes Ende, und insofern bin ich dem Ende auch dankbar. Es gibt nun mal kein Happy End, das hat dieser Fluss nicht und das motiviert mich, es gibt etwas zu tun. Es war sehr wichtig für mich die Arbeit von mexikanischen Umweltschutzorganisationen wie Pronatura kennenzulernen, die in sehr beeindruckenden Initiativen das Flussbett und seine Flora und Fauna wiederherstellen.
Unterwegs hilft mir das Schreiben (Blog) auch, wenn ich mich einsam fühle, denn so kann ich meine Erlebnisse und Erfahrungen teilen. Aber die wirkliche Verarbeitung all meiner Erfahrungen auf dieser Reise passiert jetzt, während ich das Buch über diese Reise schreibe. Denn da fange ich auch an mit Menschen um mich herum darüber zu reden.
Steht das Paddeln ab jetzt in Konkurrenz zu deinen Wanderungen, oder bist du doch lieber zu Fuß in den Bergen unterwegs?
Nein, das glaube ich eigentlich nicht, auch wenn ich unbedingt mehr Kajaken lernen will. Ich habe in den USA am Ende noch einen Intensivkurs gemacht, und das Wildwasser in Verbindung mit dem Abenteuer darin hat mich angefixt und wird sicherlich einen Platz in meinem Leben einnehmen. Ich habe auf der Tour aber auch gemerkt, dass ich wirklich ein Kind der Berge bin und das Wüstenwandern nicht mein großes Ding wird. Ich war lange passionierte Surferin, und habe daher bereits eine Verbindung zum Wasser, aber mache es in letzter Zeit kaum, da ich dafür so weit reisen muss. Es ist unendlich bereichernd für mich, dass ich mit dem Wildwasserkajak das Element Wasser ja auch hier in den Bergen erleben kann und ich freue mich darauf, da einzutauchen.
Hast du unterwegs besondere Schwierigkeiten erlebt, weil du eine Frau bist? Oder im Gegenteil, vielleicht sogar Vorteile?
Ich kann ja nicht beurteilen, wie es ist, wenn man keine Frau ist, daher kann ich es nicht direkt vergleichen. Ich denke aber es hat natürlich Vor- und Nachteile. Manchmal ist es leichter, als Frau unterwegs zu sein, weil man eher Hilfe angeboten bekommt und die Leute vielleicht auch weniger Angst haben. Ich persönlich habe nie negative Erfahrungen gemacht, was sicherlich mit Glück zu tun hat. Aber vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich mich bemühe offen und angstfrei unterwegs zu sein. Bei Begegnungen ist das für mein Gegenüber vermutlich spürbar und es fällt ihnen dann leichter auf mich ebenso offen zu reagieren. Ich folge aufmerksam meinem Bauchgefühl, also wenn ich zum Beispiel beim trampen jemandem gegenüber ein ungutes Gefühl habe, dann sage ich das, entschuldige mich falls ich damit falsch liege und steige einfach nicht ein. Ich bin also aufmerksam aber nicht angstbeladen, und das finde ich sowohl für Männer als auch für Frauen wichtig.
Was würdest du anderen Frauen raten, die sich nicht so richtig an Solo-Abenteuer wagen?
Mach es einfach! Es ist nicht viel dabei, du musst einfach den ersten Schritt machen und der zweite Schritt kommt von alleine. Auch einigen Männern fällt dieser erste Schritt sicherlich schwer, aber vielleicht tendieren Frauen mehr dazu, über alles mehr nachzudenken, zu überlegen und zu zweifeln, ob sie etwas können oder nicht. Ich weiß nicht, ob das an der kulturellen Entwicklung oder genderspezifischen Unterschieden liegt, aber ich für meinen Teil habe diese Unsicherheit kaum. Ich nehme mir etwas vor und dann mache ich es und das war schon immer so. Ich bekomme dafür immer wieder Komplimente, aber für mich ist es ja keine Leistung so zu sein, weil ich es ganz normal finde.
Hast du (weibliche) Vorbilder, die dich inspirieren?
Ich bin kein Vorbildtyp, auch wenn es Frauen und Männer gibt, die ich bewundere. Die in Krisengebieten eingesetzten Journalistinnen bei AlJazeera zum Beispiel, oder Frauenrechtlerinnen, die in harter Arbeit den Weg dafür bereitet haben, dass ich hier in Europa nun als Frau so leben kann wie ich es tue. Ich bin gerne Frau aber deswegen keine Feministin. Ich habe das Privileg als Kind viel von meinen Eltern mitbekommen zu haben: Sie haben mich und meine Geschwister zu einer Art von Selbständigkeit erzogen, die ganz viel damit zu tun hat, dass sie vertraut haben, dass wir es können. Ich glaube, dass dieses Vertrauen in die Selbstverantwortung vielen Menschen fehlt.
Was ist deine liebste Bergregion?
Ich fahre morgen wieder in die Ortlerregion, ins Vinschgau in Südtirol (Italien). Das ist momentan meine liebste Region. Alles ist sehr intensiv dort. Sowohl das Grün der Wiesen, als auch die Direktheit und Herzlichkeit der Menschen und die Gewaltigkeit der Gletscher und Felsformationen. Da wachsen knorrige Apfelbäume und Wein, da werden die steilen Wiesen mit der Sense gemäht und es gibt viele Möglichkeiten die Berge noch recht wild zu erleben. Ich habe inzwischen gute Freunde dort und es gibt eine Menge bergsteigerische Projekte, auf die ich mich dort freue.
Was planst du als nächstes?
Aktuell baue ich meinen Elektrovan aus, um darin zu leben und in den Alpen möglichst klimafreundlich unterwegs sein zu können. Ich beginne diesen Sommer ein mehrjähriges Projekt, bei dem ich Geschichten der verbleibenden Alpengletscher dokumentieren will, denn die sind bald nicht mehr da. Und dann will ich irgendwann den Kaukasus von Ost nach West überqueren, vielleicht schon nächstes Jahr.
Vielen herzlichen Dank für das Interview und die Bilder! Mehr zu Ana:
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